Gab es in Tunesien eine Stadt, in der eine Synagoge im Zentrum der Medina stand und in der eine große jüdische Gemeinde nicht in einem bestimmten Viertel, sondern gemeinsam mit den Muslimen in den gleichen Straßen der Altstadt wohnte?
Eine solche Stadt gab es tatsächlich: das war
Nabeul bis in die 1960er Jahre.
Aktuell zählt die Hauptstadt der
Region Cap Bon 80 000 Einwohner. Aber Mitte des 20. Jahrhunderts war Nabeul noch eine Kleinstadt, in der jeder vierte Bewohner ein Jude war.
Obwohl die jüdische Gemeinde von Nabeul heute fast verschwunden ist, ist sie den alten Einwohnern von Nabeul noch in lebhafter Erinnerung.
Nabeul, die Stadt der Bonvivant
In Nabeul erzählt man noch heute von
Théodore, einem Meister des „
brik à l‘oeuf“, einer mit Ei gefüllten Teigtasche, dessen kleiner Laden immer voll war.
Andere erinnern sich an Khemaïs, an das kleine, am Strand liegende Restaurant „La Rotonde“ (das es immer noch gibt), das ein beliebten Treffpunkt für feuchtfröhliche Sommerabende und geselliges Zusammensein der Bewohner aller Glaubensrichtungen war.
Khemaïs und seine Frau Noussa
Die Juden von Nabeul waren keine orthodoxen Puritaner, sondern so wie die übrige Bevölkerung, lebendsfreudige und großzügige Menschen.
Mehrere unter ihnen waren in der Restauration und der Hotellerie tätig, als Direktoren des Hotels Nabeul-Plage, seine Snackbar Pergola und des direkt am Meer liegenden Restaurants Petite Frégate.
Heute noch wird eines der besten tunesischen Restaurants in Paris La Boule Rouge von einem Juden aus Nabeul geführt.
Angeblich war es das milde und gesunde Klima von Nabeul, das bereits im 18. Jahrhundert zahlreiche Familien aus Djerba, Tunis und Algerien anzog.
Einige Familien wohnten direkt in der Hauptstraße der Medina – wo sich heute der Kunsthandwerksmarkt befindet. Muslime und Juden wurden geboren und lebten Seite an Seite, in den gleichen Vierteln.
Eine Familie nahm einen besonders bedeutenden Platz ein: Die Karila, eine sefardische Familie aus Wien. Der letzte Spross dieser Familie übte bis zur Unabhängigkeit Tunesiens sogar das Amt des Bürgermeister der Stadt aus.
Ein Jüdisches Museum in Nabeul
Damit dieser Aspekt der Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, wurde kürzlich in einer ehemaligen Yechiva (religiöse Bildungseinrichtung), ein kleiner Ausstellungsraum mit dem Namen Bibliothek Gaston Karila eröffnet.
Das Museum liegt nur wenige Meter von der Großen Moschee entfernt!
Albert Chiche, das aktuelle Gemeindeoberhaupt, trug dort Dokumente, von Nostalgie geprägte Erinnerungsstücke zusammen. Zu sehen ist eine Galerie von Porträts: Müller, Elektriker, Tankwart, Juwelier, Landwirt, Friseur, Bademeister, Kaufmann, Unternehmer…
Berufe, die von diesen Juden aus Nabeul ausgeübt wurden.
Unter ihnen befinden sich auch ein Comics-Importeur und eine Stewardess der nationalen Fluglinie Tunis Air ... im übrigen die Enkeltochter von Theodor, dem „König des Brik“.
Jüdische-nabeulische Erinnerungsstätte, Impasse Karila, Medina von Nabeul. Öffnet bald.